Das Experiment: Ein ganzes Jahr ohne Auto zum Kunden im Vertrieb

Der Zug wird zum rollenden Büro und während der Fahrt lässt sich so einiges Abarbeiten und der Stress reduzieren (Martin Voigt)
Der Zug wird zum rollenden Büro und während der Fahrt lässt sich so einiges Abarbeiten und der Stress reduzieren (Martin Voigt)

Funktioniert Außendienst ohne Auto? Lässt sich das Vertriebsgebiet Deutschland-Österreich-Schweiz alternativ mit der Bahn und mit dem Fahrrad bereisen? Und was sagen die Kunden dazu? Martin Voigt ist freier Handelsvertreter für Digitaldruckmaschinen der Mouvent AG und Laserschneideanlagen von ALS-Engineering GmbH und hat es ein ganzes Jahr lang ausprobiert.

Es gibt eine alte Regel im Vertrieb, die auch heute noch gilt: „Wer viel läuft, der viel verkäuft“ und so kommt es nicht selten vor, dass Vertriebler zwischen 50.000 und 100.000 km im Jahr durchs Land reisen, um Ihre Kunden und Interessenten zu treffen. Das am häufigsten genutzte Verkehrsmittel ist der Firmenwagen. In manchen Unternehmen wird gar Vertriebserfolg mit PS für die Straße honoriert.

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Stress und Hektik auf der Autobahn

In dieser Art und Weise des Reisens habe ich die letzten 25 Jahre mit dem Vertrieb von Digitaldruckmaschinen zugebracht. Neben einer gewissen Müdigkeit, die ich zunehmend erfahren hatte, kam Stress durch das manchmal Zuspätkommen durch Staus und das abendliche Nacharbeiten von e-mails und Besuchen. Irgendwann reifte die Erkenntnis, dass man die Reisezeit sinnvoller, gesünder und ökologisch wertvoller verbringen sollte.

„Irgendwann reifte die Erkenntnis, dass man die Reisezeit sinnvoller, gesünder und ökologisch wertvoller verbringen sollte.“

Wenn man durchschnittlich 75.000 km mit dem Auto im Jahr unterwegs ist, dann hat man bei 75 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit 1.000 Stunden seines Lebens in einem Jahr im Auto verbracht, das sind ungefähr 60 Wachtage. Und man hat bei 20kg/100 km 15 Tonnen CO² pro Jahr in die Luft geblasen und zu guter Letzt hat man dem Unternehmen auch noch deutlich über 20.000 € im Jahr gekostet. Mit diesen Fakten und Erfahrungen habe ich im Dezember 2018  eine Entscheidung getroffen, die meine Mobilität auf völlig neue Füße stellen sollte, ohne meine Kundenaktivitäten irgendwie einzuschränken. Um den Handlungsdruck zu erhöhen, hatte ich in 2018 mein Auto verkauft.

Erst einmal eine Bahncard

Als erstes kaufte ich mir im Dezember 2018 eine Bahncard100 2.er Klasse. Mit dieser Karte fährt man in Zügen der Deutschen Bahn ein ganzes Jahr kostenlos. Die Karte war mit 4.375 € (jetzt 3.900 €) eine richtige Investition, aber es gab und gibt eine Reihe weiterer Vergünstigungen, die sich absolut lohnen. Dazu gehören u.a. der einmal monatlich kostenlose Gepäcktransport, den ich auch mal für den Druckmusterversand von Rollenware nutzte.

„Hinzu kam ein Fahrrad, um die letzten Kilometer von der Bahnstation zum Kunden mit dem Fahrrad zu fahren.“

Hinzu kam ein Fahrrad, um die letzten Kilometer von der Bahnstation zum Kunden mit dem Fahrrad zu fahren. Da ich in Köln wohne, war der Umstieg in der Stadt auf öffentliche Verkehrsmittel und das Fahrrad überhaupt kein Problem.

Außendienst ohne Auto. Da muss Martin Voigt dann schonmal auf das Fahrrad zurückgreifen (Quelle: Martin Voigt)
Außendienst ohne Auto. Da muss Martin Voigt dann schonmal auf das Fahrrad zurückgreifen (Quelle: Martin Voigt)

Wohin mit dem Fahrrad?

Etwas problematischer war die Kombination aus Fahrrad und Bahn auf der Langstrecke. Man kann zwar das Fahrrad mit der Bahncard 100 kostenlos mitnehmen, aber in vielen ICE’s gibt es keine Fahrradmitnahmemöglichkeit. Dennoch konnte ich gerade in den IC-Zügen nach Hamburg, nach Rheinland -Pfalz und ins Ruhrgebiet das Fahrrad mit in den Zug nehmen. Inzwischen kann man mit der FahrradApp „CallaBike“ oder in Leihstationen an vielen ICE Bahnhöfen auch ein Fahrrad ausleihen.

Sollte der Kunde tatsächlich weiter als 10 Kilometer vom Bahnhof entfernt seinen Standort haben und kein Fahrrad zur Verfügung stehen, dann nutzte ich einen der 4.000 Mietwagen des Flinkster Netzwerks, die immer in der Nähe des Bahnhofs stehen und sogar in Orten wie Eislingen oder Eisleben für ein paar Stunden zu mieten sind.

Der Zug – das rollende Büro

Meine Arbeitsweise veränderte sich. Der Zug wurde zum rollenden Büro. Ich konnte Projekte sofort nacharbeiten, Angebote schreiben und Präsentationen vorbereiten. In den meisten Zügen konnte ich auch ungestört telefonieren, auch wenn gleichwohl das Netz manchmal zusammenbrach.

„Meine Arbeitsweise veränderte sich. Der Zug wurde zum rollenden Büro.“

Insgesamt bin ich in 2019 etwa 68.000 km mit der Bahn gefahren. Meine weitesten Strecken fuhr ich nach Malmö und Florenz mit dem Nachtzug. Städte wie Wien und Lausanne habe ich am Tage „erfahren.“

Natürlich sind auch Züge manchmal zu spät gekommen und auch meine Anschlusszüge habe ich manchmal verpasst. Aber ich konnte die Verspätungszeit viel sinnvoller nutzen als im Auto. Das Verständnis für eine Zugverspätung bei meinen Kunden war bis jetzt immer da.

Etwa 30 mal nutzte ich das Fahrrad zusammen mit der Bahn. Das Erstaunen war schon recht groß, wenn ich im tiefsten Schwarzwald mit dem Fahrrad bei Kunden vorfuhr.

Entspannt am Ziel

Insgesamt betrachtet war das für mich eine sehr positive Erfahrung für meine Gesundheit, für die Umwelt, für das Reisekostenbudgets und am Ende auch die Kunden, die einen entspannten, vorbereiteten und proaktiven Verkäufer erlebt haben. In jedem Fall werde ich auch in 2020 wieder so unterwegs sein. [12342]